Brennstoffzelle oder Akku? Hauptsache elektrisch!

Lithium-Ionen-Akkus, Brennstoffzellen und Power-to-Liquid konkurrieren in der öffentlichen Wahrnehmung. Dabei sind sie gar keine Rivalen und der Antrieb allein auch keine Lösung. Ein Interview mit dem Vizepräsidenten des Wuppertal Instituts, Prof. Manfred Fischedick.

Das Verkehrssystem in Deutschland wird im Jahr 2050 nahezu unabhängig von Kraftstoffen mit fossilem Kohlenstoff („dekarbonisiert“) und somit weitgehend treibhausgasneutral sein.

Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung, 2016

Eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende soll dem E-Auto zukommen. Darin sind sich die Akteure aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft einig. Doch Elektromobilität kann beides bedeuten: Akkubetriebene E-Autos oder auch mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellenfahrzeuge. Während akkubetriebene Elektrofahrzeuge durch ihre Akkukapazität und Ladezeiten begrenzt sind, steht Brennstoffzellenfahrzeugen ihr Wirkungsgrad im Weg. Rechnet man die Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien in den Wirkungsgrad mit ein, benötigt ein Brennstoffzellen-Auto für die gleiche Strecke die doppelte Energiemenge wie ein akkubetriebenes Elektroauto. Grund genug für den ehemaligen Audi-Vorstand Dietmar Voggenreiter zu sagen: „Keine nachhaltige Volkswirtschaft kann es sich erlauben die doppelte Menge an regenerativer Energie zu verwenden, um mit Brennstoffzellen-Pkw anstatt mit Batteriefahrzeugen zu fahren.“ Thomas Grube, Gruppenleiter Mobilität am Forschungszentrum Jülich, meint zu den Brennstoffzellenfahrzeugen gegenüber der motortechnischen Zeitschrift hingegen: „Die Serienreife haben Honda, Hyundai und Toyota nachgewiesen. Die noch notwendige Kostenreduktion kann über die Massenfertigung erzielt werden.“ Ein Widerspruch?

„Es wird nicht den einen Antrieb geben“

Prof. Manfred Fischedick ist studierter Verfahrenstechniker und hat im Bereich der Energietechnik promoviert. Seit 2006 ist er Vizepräsident des Wuppertal Instituts, welches das Land NRW, die Bundesregierung und die EU seit Jahren bei Entscheidungen zum Einsatz von Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und Elektromobilität unterstützt. Seiner Meinung nach sind die verschiedenen Antriebstechnologien vielmehr Bausteine eines Mobilitätskonzepts als eine alleinige Lösung. Die Städte der Zukunft wünscht er sich 2050 weitgehend autofrei. Doch ganz ohne Autos wird es weder in der Stadt, noch auf dem Land oder den Autobahnen gehen.

MOBILITÄT 2050

Herr Prof. Fischedick, was soll das Auto der Zukunft für einen Antrieb haben?

Es wird nicht den einen Antrieb geben in der Zukunft. Sicherlich werden wir deutlich mehr Elektrofahrzeuge auf den Straßen sehen. Das wird vor allen Dingen den urbanen Verkehr prägen. Da ist, glaube ich, das Elektroauto das Auto der Wahl, weil es auch lokal keine Emissionen verursacht und mit kurzen Strecken an keine Reichweitengrenzen herankommt, also auch keine überdimensionierten Batterien braucht.

Bei längeren Strecken bin ich mir unsicher, ob es zwingend das Elektroauto sein wird oder vielleicht doch eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle oder synthetische Kraftstoffe. Das heißt für Anwendungen im Fahrzeugbereich jenseits der Stadt kann ich mir andere Antriebsformen vorstellen.

Sie sehen die Brennstoffzelle also mehr als Nischenprodukt für die Anwendungsfälle, wo das akkubetriebene E-Auto an seine Grenzen kommt?

Ja, die Brennstoffzelle wird sicherlich eher im Bereich der längeren Strecken eine Ergänzung sein, zum Beispiel bei Urlaubsfahrten. Wie schnell das geht, hängt sicherlich ein bisschen davon ab, wann und wie die Brennstoffzelle sich im Güterverkehr durchsetzt. Das wird mitbestimmen, welche logischen Konzepte sich durchsetzen und wie die Mischung eines Tages aussehen wird. In jedem Fall gehöre ich nicht zu denjenigen, die sagen, dass wir ausschließlich akkubetrieben unterwegs sein werden, sondern ich glaube, dass es einen Markt für Brennstoffzellen geben wird.

Und wenn man an ganz andere Verkehrsträger denkt, also Bahn oder Luftverkehr, dann wird es sehr stark in Richtung Brennstoffzellenantriebe und eben auch synthetische Kraftstoffe gehen, vor allem im Luftverkehr. Das wird vermutlich nicht ohne synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien gehen.

Power-to-Liquid wird also auf den Straßen nur wenig mitspielen?

Power to Liquid wird sicherlich auf den Markt drängen. Ich sehe nur das grundsätzliche Problem im Wirkungsgrad. Das sollte uns Grund genug sein zu sagen: Diese Kraftstoffe werden ihren Anwendungszweck haben, aber vor allem da, wo es wirklich keine Alternativen gibt, im Luftverkehr.

Im Güterverkehr gibt es dazu spannende elektrische Alternativen: Ich kann mir gut vorstellen, dass sich  auf den Autobahnen eine Elektrifizierung der rechten Spur realisiert.

So, wie das jetzt schon in Form einer Probefahrbahn in Hessen ausprobiert wird?

Genau, sodass die ganzen LKWs zumindest auf den Autobahnen elektrisch fahren können. Letztlich wird ungefähr 80 Prozent des Güterverkehrs über die Autobahn abgewickelt. Wenn man die elektrifiziert hätte und den Rest des Güterfernverkehrs mit Brennstoffzellen oder von mir aus auch mit synthetischen Kraftstoffen versorgt, hat man einen großen Teil des Problems erledigt.

Noch sind Elektrofahrzeuge trotz Subventionierung gerade für Privatleute recht teuer. Werden sie in Zukunft so bezahlbar sein, dass sie tatsächlich das Straßenbild bestimmen können?

Ich glaube sie werden bezahlbar sein, wenn sie auf die jeweiligen Bedarfe abgestimmt sind. Wenn man sich zum Beispiel anguckt, was gerade in Aachen und Düren entwickelt wird: Das ist ein spartanisches, relativ kostengünstiges Auto, was die wesentlichen Bedürfnisse für eine oder mehrere Zwanzig-Kilometer-Fahrten am Tag in jedem Fall erfüllt. Die meisten Autofahrer haben heute keine größeren Mobilitätsbedürfnisse, was in der öffentliche Diskussion um Elektroautos gern vergessen wird.    

Elektrofahrzeuge müssen letztendlich so konstituiert sein, dass sie auf den jeweiligen Anwendungsbezug ausgerichtet sind. Ich befürchte aber, das haben bisher nur die wenigsten Hersteller auf der Agenda, weil sie immer noch in Margen denken und meinen, dass sie mit größeren Fahrzeugen pro Stück mehr verdienen. Was ja auch stimmt. Aber das kann nicht die Fahrzeugflotte der Zukunft bestimmen. Es ergibt überhaupt keinen Sinn mit einem überdimensionierten Tesla fünf Kilometer in die Stadt zu fahren. Das ist Verschwendung von Ressourcen. Der Erfolg der Elektrofahrzeuge steht und fällt daher mit der Frage, glaube ich, inwieweit die Dimensionierung richtig ist.

Ist der Elektro-SUV nicht vielleicht auch dadurch begründet, dass Elektroautos bisher noch so teuer sind und eher in die Luxusklasse fallen?

Ich will auch nicht den Elektro-SUV zu sehr an den Pranger stellen. Man braucht immer Einstiegsmärkte mit Fahrzeugen, die eine gewisse faszinierende Wirkung haben, eine Multiplikator-Funktion auslösen. Nur darf das nicht das Massenfahrzeug sein.

Der kritische Faktor beim Elektrofahrzeug ist die Batterie, auch für die Umweltbilanz. Je größer die Batterie, desto schlechter ist die Umweltbilanz. Deshalb müssen wir den Schwung jetzt nutzen, um bedarfsorientiertere Fahrzeuge auf den Markt zu bringen und nicht mit „panzerähnlichen“ Fahrzeugen durch die Städte zu fahren. Warum muss ich im Stadtverkehr eine Reichweite von 700 Kilometern haben? Das ist überhaupt nicht notwendig, schon gar nicht in einer Zukunft, die man sich auch so vorstellen kann, dass die Menschen Autos nicht mehr selbst besitzen, sondern über Sharing-Systeme jeweils das Auto nehmen, was sie gerade brauchen. Wenn Sie nach Italien gucken: Dort sind Sharing-Angebote oder Mietwagen-Dienste ungleich günstiger als bei uns und insofern kann sich da bei uns noch einiges tun und muss sich auch noch einiges tun.

Zusammen mit der Ausweitung von autonomem Fahren wird das ein mehr oder weniger optimiertes System sein, wo die Menschen Autos nicht mehr selber nutzen oder besitzen, sondern für die Dienstleistung Mobilität bezahlen. Das dauert sicherlich noch 10 oder 15 Jahre, bis sich das in der Breite durchgesetzt haben wird, möglicherweise auf der Autobahn früher als in den Städten. In den Städten habe ich nicht nur Autos, sondern auch weniger kalkulierbare  Mobilitätsteilnehmer wie Fußgänger, Radfahrer, Scooter-Fahrer… also eine wilde Mischung, die man weniger gut berechnen kann. Insofern wird der erste Schritt im Autonomen Fahren wohl eher im LKW-Bereich sein. Dort gibt es schon die ersten Pooling-Versuche mit einer Abstandsregelung auch ohne eine feste Oberleitung.

Ich denke in den Ballungsräumen der Stadt und auf den Autobahnen ist es relativ einfach, viel in Bewegung zu setzen. Wie sieht das auf dem Land aus?

Sicherlich lassen sich Elektrofahrzeuge in der Stadt schneller und einfacher durchsetzen als auf dem Land. Aber auch auf dem Land muss man, glaube ich, die Kirche im Dorf lassen. Da werden Ansprüche formuliert, die Autos für die meisten Anwendungen gar nicht erfüllen müssen. Auch auf dem Land fahren die Menschen nicht täglich 700 Kilometer, sondern meistens deutlich unterhalb von 100 Kilometern. Die sind locker zu schaffen mit einem Elektrofahrzeug, was schon heute von der Stange zu kaufen ist und erst recht 2025 von der Stange zu kaufen sein wird. Und gerade auf dem Land haben wir viel mehr private Ein- und Zweifamilienhäuser, wo eine Ladeinfrastruktur zuhause realisiert werden kann, als in der Stadt, wo ich im Mehrfamilienhausbereich eine ganz andere intelligente Ladevorrichtung brauche. Insofern werden sich auch auf dem Land Elektrofahrzeuge realisieren lassen.  

Das Problem, was bleibt, sind die Langfahrten: Wird man mit dem Elektroauto irgendwann auch mal 800 oder 1000 Kilometer fahren können und die Batterie anschließend relativ schnell laden können? Da kann man sich zwei Optionen vorstellen: Entweder wirklich schnellladefähige Batterien, die innerhalb von 10, 15 Minuten zumindest zu 60, 70 Prozent aufgeladen sind. Das ist heute technologisch schon möglich. Oder ein System, was vor 10 Jahren schon mal eingeführt wurde, aber dann erstmal gescheitert ist: Dass man einfach schlicht die Batterien tauscht.

So wie man früher sein Pferd gewechselt hat…

Genau. Das ist vergleichsweise flott innerhalb von zwei, drei Minuten gemacht. Die Batterie gehört dann nicht mir selbst, da gibt es heute schon Systeme, wo die Batteriewartung längst Dienstleister übernehmen. Auch das kann man sich vorstellen.

Wenn die Schnellladung heute schon technisch möglich ist, warum gibt es sie noch nicht? Sie wäre immerhin eine Lösung für die Reichweitenproblematik der Akkus.

Weil die Schnellladung zulasten der Batterie-Halbwertszeiten geht. Die Belastung für die Batterie ist größer und auch die Belastung für das Stromnetz ist größer.

Aber grundsätzlich macht unser Stromnetz eine e-mobile Zukunft mit?

Wir sind gerade dabei Erfahrungen zu machen, zu lernen: „Wie muss eine Ladeinfrastruktur aussehen? Muss es öffentliche Ladepunkte geben? Wo müssen sie entstehen? Braucht es private Ladepunkte bei Jedem zuhause? Wie kann man das Verteilnetz ertüchtigen?“ Da ist sicherlich noch einiges zu tun. Es gibt kaum eine Blaupause, die man sich aus anderen Ländern abgucken kann. So muss man auch über Befragungen von den Mobilitätsteilnehmern lernen, wo sie Komforteinbußen in Kauf nehmen und wo das nicht diskutierbar ist. Grundsätzlich weiß man aber, dass man die Probleme in den Griff kriegen kann, wenn man sie mit einem intelligenten Lademanagement verbindet. Sodass die Autos dann geladen werden, wenn viel Sonne und Wind im System sind oder man die Ladevorgänge über Nacht verteilt. Noch intelligenter natürlich: Bidirektionale Systeme. Das heißt, dass die Autobatterien auch noch als Speicher für das Stromsystem genutzt werden. So kann man sich viele intelligente Dinge vorstellen, die sich in den nächsten Jahren entwickeln.

Aber: Das wird natürlich verbunden sein mit vielen Veränderungen, die auf die Autobesitzer oder Mobilitätsnutzer zukommen. Es ist ein anderes Mobilitätsverhalten als das, was wir heute haben. Zum Beispiel muss man sich daran gewöhnen, dass ein Auto dann geladen wird, wenn das System es hergibt oder sagt: „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt“. Das heißt, wenn man sein Auto zuhause abstellt, muss man ihm sagen, wann man es wieder braucht.

Ein wunder Punkt an den Batterien ist der Lithium-Bedarf und die Bedingungen, unter denen es beschafft wird. Gibt es da eine Lösung für?

Lithium ist ein Problem, aber vielleicht nicht mal das Dramatischste. Weil Lithium nicht per se knapp ist. Klar, die Abbaubedingungen sind ein Problem, aber bei Elektrofahrzeugen verbaue ich noch eine ganze Reihe von seltenen Erden im Elektromotor, in der Leistungselektronik. Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir Recycling-Strukturen aufbauen, sodass bei einer massiven Markteinführung von Elektrofahrzeugen klar ist, dass ich die Batterien und die Leistungselektronik zurückführen und die seltenen Erden wiedergewinnen kann. Das ist ein Gebot der Stunde. Speziell, wenn es eine weltweite Bewegung ist und das ist ja, was wir eigentlich vor Augen haben: Dass es nicht nur in einigen wenigen Ländern passieren muss, sondern global und dann muss es eine Lösung dafür geben.

In Münster soll eine Batteriefabrik entstehen.  Ist das der richtige Weg dem zu begegnen?

Ja, absolut. Deutschland hat die Entwicklung des Elektrofahrzeugs ein bisschen verpennt, obwohl es eigentlich ein Standort ist, wo man genau solche Technologien hätte weiterentwickeln können. Die Ansiedelung einer Batteriefertigungsfabrik in Münster, die eher eine Forschungsfabrik ist, wo man vieles versucht auszuprobieren, neue Dinge zu entwickeln… ist genau die richtige Antwort darauf, auch vom Volumen her. Sonst hat man den Wettlauf mit den asiatischen Ländern verloren und so kann man vielleicht noch in bestimmten Technologiebereichen Akzente setzen. Wir haben bei Elektrofahrzeugen noch das ein oder andere auf der To-Do-List, vor allen Dingen in der Batterieentwicklung liegt die Kernkomponente schlechthin, mit viel Verbesserungspotential. Die heutigen Batterien sind noch nicht gut genug. Auch was Batteriematerialien angeht, ist Einiges in Bewegung.

Wie sieht es denn mit Lithium-Abbau in Deutschland aus?

Die Potentiale, die wir haben, sind bescheiden im Vergleich zu anderen Ländern. Damit werden wir den eigenen Bedarf nicht decken können und insofern kann das nur ein Add-On sein. Aber die Hauptfrage wird sein: Wie kann man Lithium zu nachhaltigen Bedingungen auf dem Weltmarkt beschaffen oder gibt es auch Optionen mit anderen Batterietechnologien ohne Lithium oder zumindest ohne andere seltene Erden auszukommen? Bisher sind die Alternativen gegenüber der klassischen Lithium-Ionen-Batterie noch nicht marktfähig. Aber da ist sicherlich einiges noch zu erwarten.

Und bis dahin? In einer aktuellen Studie vom ADAC wurde das Erdgasauto als aktuell klimafreundlichster Antrieb genannt. Ergibt es überhaupt Sinn, sich jetzt ein Elektroauto zu kaufen?

Wenn man sich die aktuelle Ökobilanz von Elektroautos ansieht, dann schneiden sie unerheblich besser ab als ein energieeffizientes Mittelklassefahrzeug. Wir haben noch einen Strommix mit einem relativ hohen Kohleanteil und die Ökobilanz der Batterie ist noch nicht so toll, wie sie sein könnte. Da wird sich Vieles in den nächsten Jahren verbessern und auch verbessern müssen. Wenn man im Moment ein Elektroauto fährt, muss man wissen, dass es zwar in der Luftqualität vor Ort, aber nicht in der Klimabilanz emissionsfrei ist. Insofern ist die Überlegung sich ein Erdgasauto zu kaufen, wenn man adhoc einen Beitrag zum Klimaschutz leisten will, gar nicht so schlecht. Allerdings habe ich auch da nur eine um zwanzig oder dreißig Prozentpunkte bessere Klimabilanz als beim traditionellen Benziner oder Diesel. Und ich muss berücksichtigen, dass so ein Auto zehn Jahre in Benutzung ist. In den zehn Jahren verändert sich der Strommix substanziell. Der Anteil an Erneuerbaren Energien verdoppelt sich noch ungefähr. Selbst wenn man dann nach sechs oder acht Jahren die Batterie austauscht, wird vielleicht aus dem aktuell nicht viel besseren Elektroauto doch ein deutlich besseres Elektroauto im Vergleich zum Benziner oder Diesel. Also insofern spricht auch nicht zwingend etwas dagegen, sich jetzt ein Elektroauto zu kaufen. Aber der richtige Markteinstieg wird sicherlich erst in drei, vier, fünf Jahren massiv kommen, wenn auch die Palette der Fahrzeuge breiter ist und es vielleicht auch weniger kostspielig wird, das zu tun. Ich glaube da werden wir in Zukunft extrem viele phantasiereiche Geschichten auf dem Markt sehen.

DIE ROLLE DER POLITIK

Wird es den Zulauf automatisch geben oder braucht es da Eingriffe der Politik?

Die Politik muss den Mut haben, diesen Prozess zu gestalten und nicht einfach abzuwarten; nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf regionaler, lokaler Ebene. Autofreie Innenstädte zum Beispiel muss man lokal regeln. Es gibt Ideen, Parkhäuser prioritär für Elektrofahrzeuge zu öffnen. Was man schön verbinden könnte mit einer Beladungsinfrastruktur. Das kann man sich in Norwegen angucken. Die Stadt Oslo hat eine ganze Reihe von Parkhäusern, gerade im Innenstadtbereich, die nur für Elektrofahrzeuge vorgesehen sind. Da kann man schon Hilfestellung geben, bis hin zum Freigeben von bestimmten Fahrspuren für Elektrofahrzeuge. Die Bundespolitik muss, anders als jetzt, nicht nur auf einen 1-zu-1-Austausch zwischen Verbrennungsmotor und Elektromobilität setzen. Mobilitätspolitik ist deutlich mehr.

Und wir als Konsumenten müssen uns wieder mehr Gedanken machen, ob nicht zu Fuß gehen oder Fahrradfahren auch toll ist…  Wenn wir Entscheidungen für ein neues Auto treffen, müssen wir erstmal entscheiden, ob wir überhaupt ein neues Auto brauchen oder auf Sharing-Systeme setzen.

Also eher Zuckerbrot-Anreize als Verbote für Verbrenner?

Ob ein Verbot von Verbrennungsmotoren zwingend etwas bringt, weiß ich nicht. Es mag ja Gründe geben, warum es auch nach 2030 im einen oder anderen Anwendungsfall vielleicht doch noch Verbrennungsmotoren geben sollte. Man muss einfach die eine Form attraktiver machen, dann wird zwangsläufig die andere Form aus dem Markt gedrängt. Eine Idee dazu: Ein CO2-Preissystem. Das verändert nochmal die Relationen zwischen einem Elektrofahrzeug, was dann günstiger wird, gegenüber einem Benziner oder Diesel, der dann teurer werden wird. Es wird immer Leute geben, die mit dem 2,5-Tonner zum Bäcker fahren wollen. Das will ich auch nicht verbieten, aber dann soll es eben entsprechend teuer werden.

AUS DER WIRTSCHAFTSPERSPEKTIVE

Warum hat die deutsche Autoindustrie so spät in Richtung E-Autos geschaut, sind Elektrofahrzeuge weniger rentabel für die Automobilindustrie?

Ich glaube der Grund liegt darin, dass sie sehr gut verdient haben mit Benzin- vor allem aber Dieselfahrzeugen. Dieselfahrzeuge waren im Schnitt nochmal größer, was auch am Dienstwagen-Privileg liegt. Und je größer ein Auto ist, desto größer ist auch die Marge. Die Unternehmen haben Massenproduktionslinien aufgebaut. Wenn man massiv investiert hat in solche Linien, dann will man sie natürlich auch bis zuletzt ausschöpfen. Deswegen ist das von der Unternehmerseite gut zu verstehen, warum sie zurückhaltend gewesen sind, auf ein neues System zu setzen.

Nur ich glaube, dass sie die internationale Marktdynamik und den Druck aus der Klimaschutz- und Luftqualitätsdebatte damit falsch eingeschätzt haben. Im Verkehrssektor ist es als einzigem Sektor in Deutschland in den letzten 25 Jahren zu keiner Minderung in den Treibhausgasemissionen gekommen. Jetzt wird die Autoindustrie von der gesellschaftlichen Debatte gedrängt, aber auch von einer internationalen Marktbewegung, die nicht unbedingt aus Deutschland kommt, sondern aus China. In Shanghai zum Beispiel müssen Sie eine Lizenz kaufen, wenn Sie mit einem Verbrennungsmotor in die Stadt fahren wollen.

Liegt das daran, dass China durch seine Luftqualität mehr dazu gezwungen war, etwas zu unternehmen?

In China ist die Luftqualität in vielen Städten extrem gesundheitsgefährdend über viele Monate des Jahres hinweg. Dagegen ist das hier wirklich Jammern auf extrem hohem Niveau. Das ist quasi das Eine: Der Druck im Kessel, etwas zu tun. Und zum Zweiten glaube ich, dass die chinesische Gesellschaft deutlich digitalisierungsaffiner ist, als das in Deutschland der Fall ist und sich deutlich weniger Gedanken macht über Big-Data-Problematiken. China ist ein reiner Überwachungsstaat. Das wissen die Menschen auch und insofern ist ihnen, platt formuliert, ziemlich egal, ob Mobilitätsdaten abgefrühstückt werden oder nicht. Und drittens gibt es viel mehr Anbieter, die den Mut gehabt haben, so etwas zu entwickeln und einfach mal auszuprobieren.

Was bedeutet das für Deutschland?

Es gibt fast kein Automobilunternehmen, das nicht umsteuert. VW macht das ganz extrem. Andere setzen vielleicht auf zwei, drei unterschiedliche Pferde, aber alle wollen in den nächsten Jahren ihre Flotte elektromobil anbieten. Das bedeutet für europäische Hersteller, wenn man so will, eine umkehrende Unternehmensstrategie über Nacht, dann sehr einseitig in Richtung Elektromobilität. Ob das nicht zu riskant ist, muss man auch hinterfragen. Aber die Tatsache, dass jetzt fast alle Unternehmen in diese Richtung gehen, gibt eine unheimliche Beschleunigung in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen, auch technisch. Und die Hersteller wollen natürlich Autos anbieten, die von den Kunden auch angenommen werden. Insofern entsteht eine Eigendynamik, weswegen ich glaube, dass sich die Elektrofahrzeuge am Markt durchsetzen werden.

Der Nachteil daran ist, wenn man volkswirtschaftlich denkt, dass für ein Elektroauto weniger Komponenten gebraucht werden. Das heißt nicht mal unbedingt, dass die großen Automobilunternehmen selbst mit Veränderungen zu kämpfen haben werden. Sie werden weiter das Chassis herstellen, die Komponenten zusammenbauen und die Autos verkaufen. Aber die Zulieferindustrie wird mit Veränderungen kämpfen, weil es bestimmte Komponenten nicht mehr gibt: Ich brauche keinen Benzintank mehr, keinen Vergaser mehr, keine Kupplung mehr… Auf der anderen Seite kommen ein paar Komponenten hinzu, aber man sagt in Summe, dass so nur noch die Hälfte der Komponenten gebraucht wird.

Werden darunter auch die Werkstätten leiden, weil E-Autos weniger wartungsanfällig sind?

Viele Komponenten davon sind reine Leistungselektronik, die keine mechanische Wartung mehr erfordern. Da gibt es nichts mehr im Motor, was sich großartig bewegt, heiß wird oder Schmiermittel braucht. Damit ist die Wartung im Wesentlichen bezogen auf die Batterie. Die muss gelegentlich ausgetauscht werden. Alles andere ist vergleichsweise wartungsarm. Das heißt für die Werkstätten natürlich eine riesige Umwälzung.

Aber: Wir reden nicht über einen Prozess, der über Nacht kommt. Bis 2030 werden nicht nur Elektrofahrzeuge gekauft. Dann gibt es langsam eine Sterbelinie für Verbrenner, bis sie vielleicht 2040, 2045 fast vollständig aus dem Markt verschwunden sind. Das sind von heute 20 bis 25 Jahre, die einen Anpassungszeitraum bedeuten. Es ist gut, dass wir uns heute viele Gedanken machen über die strukturpolitischen Maßnahmen in den Braunkohlegebieten Deutschlands. Da reden wir aber über etwa 30.000 direkte Arbeitsplätze und nochmal die gleiche Anzahl indirekte Arbeitsplätze. Das ist im Vergleich zu dem, was uns im Bereich der Automobilindustrie in den nächsten Jahren bevorsteht, ein Zehntel oder ein Zwanzigstel.


Autorin: Martha Peters, Technikjournalismus, 2019


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